Schwerin – Seit Monaten gibt es in der Schweriner Stadtverwaltung und den Medien eine Diskussion darüber, ob eine Videoüberwachung am Marienplatz für mehr Sicherheit und Ordnung sorgen würde. Dazu hat die "Projektgruppe Videoüberwachung", die sich sowohl aus Polizei als auch Personen der Stadtverwaltung zusammensetzt, ein "Umsetzungskonzept" erarbeitet.
Darin muss auch die räumliche Nähe des Komplex und die Solidarität der dort Aktiven als mögliches Gefahrenpotential herhalten.
Auf dem Marienplatz, als zentralem Platz und Verkehrsknotenpunkt, treffen zwangsläufig verschiedene Interessensgruppen aufeinander. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen, erst im Januar prügelte sich dort eine größere Gruppe Deutscher.
Im Jahr 2016 entwickelte sich der Platz zum Treffpunkt für jugendliche Geflüchtete. Dabei kam es auch mehrfach zu Konflikten sowohl unter den Geflüchteten als auch mit Neonazis.
Befeuert durch die einseitige Berichterstattung, schaukelte sich die fremdenfeindliche Stimmung in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke so hoch, dass eine weitere Eskalation nur noch eine Frage der Zeit war.
Am 02. August 2016 täuschten Neonazis einen Bombenanschlag auf die Geflüchteten vor. Die Tat und darauf folgende Auseinandersetzung wurde von Sympatisanten gefilmt und in die sozialen Netze hochgeladen.
Am 30.09.2016 machte ein koordinierter Angriff von ca. 30 Neonazis auf Geflüchtete bundesweit Schlagzeilen. Zuletzt versuchte am 20.01. eine alkoholisierte rechtsgerichtete Person mit einem Baseballschläger auf dem Marienplatz, „für Ordnung zu sorgen“.
Der Umstand, dass organisierte Neonazigruppierungen Auslöser von Auseinandersetzungen waren, spielte offenbar in den Planungen der Projektgruppe keine große Rolle.
Während sich viele Bürger*Innen zu Recht fragen, was eine Videoüberwachung genau bringen soll, wenn potentielle Täter*Innen sich einfach andere Austragungsorte suchen, sieht die Stadt samt Polizei einen unbedingten Handlungsdrang und führt eine sechsmonatige „Testphase“ ein. Für Kopfschütteln sorgt vor allem die Begründung der Maßnahmen, in der es unter anderem heißt: „Die örtliche Nähe des Marienplatzes zum Szenetreff Komplex (Pfaffenstraße) und die mögliche Solidarisierung mit den Flüchtlingen sowie die totale Ablehnung des rechten Gedankengutes verstärken die Gefahr von gewalttätigen Auseinandersetzungen“
„Es ist beschämend und bezeichnend, dass in einer Zeit, in der Nazis regelmäßig Angriffe auf Geflüchtete planen und ausführen, ausgerechnet die Solidarisierung mit Refugees als ein Gefahrenpotential gesehen wird. Unsere Solidarität kennt keine Grenzen und ist garantiert, sobald Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion, Sexualität etc. diskriminiert werden.“ erklärt Jan Goldbaum, ein im Komplex Schwerin aktiver Jugendlicher. „Natürlich lehnen wir sämtliches menschenfeindliches Gedankengut ab und bleiben auch weiterhin gegen rassistische Umtriebe aktiv. Wenn Stadt und Polizei unser Engagement als Gefahr ansehen, weil Lichterketten gegen Nazis selten genug sind, ist das traurig.“ Auf die Frage, was er von der Videoüberwachung hält, antwortete er: "Ich verstehe nicht, was das nützt. Kann eine Kamera einen Übergriff verhindern? Was macht die Stadt, wenn sich die Konflikte verlagern, wie neulich hinter das Schlossparkcenter? Ich finde, dass die Stadt das Geld lieber in Sozialarbeiter, wie z.B. die aus dem Paulskirchenkeller, stecken sollte. Sie vermitteln zwischen den Geflüchteten und sorgen so für eine entspanntere Situation."
Abschließend formulierte er Bedenken an der polizeilichen Praxis: „Man denke an die Silvesternacht 2016/2017 in Köln. Während die Polizei in der Nacht twitterte, dass sie mehrere hundert ‚Nafris‘ (Red: Polizeideutsch für "Nordafrikanische Intensivtäter") kontrolliert haben, stellte sich 2 Wochen später heraus, dass die Personen weder "Intensivtäter" waren, noch mehrheitlich aus Nordafrika stammten. Sie wurden nur aufgrund ihres Äußerem festgehalten. Ich habe Angst, dass alle Menschen, die nicht ‚deutsch‘ genug aussehen, unter Generalverdacht geraten.“
Das Komplex Schwerin in der Pfaffenstraße 4 engagiert sich seit vielen Jahren für emanzipatorische Politik und alternative Jugendkultur abseits von Zwängen des Alltags. Interessierte sind eingeladen, mittwochs um 18 Uhr zum öffentlichen Plenum im Saal zu kommen und sich einzubringen.