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Rostocker Zoo zieht einen Neuguinea-Kurzschnabeligel mit der Hand auf

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Rostock – Der Rostocker Zoo zieht einen Neuguinea-Kurzschnabeligel mit der Hand auf, nachdem seine Mutter verstorben ist. Sowohl der Nachwuchs in einem Zoo selbst als auch die Aufzucht ohne das Muttertier sind weltweit extrem selten. 

Der Schnabeligel ist ein Überlebender der Evolution und hat mit dem herkömmlichen Igel nichts zu tun. Als die Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren ausstarben, brach die große Zeit der Säugetiere an. Aus rattengroßen Ursäugern gingen tausende, gut anpassungsfähige Arten hervor, die durch neue anatomische Eigenschaften viele Lebensräume der Erde besiedelten. Als sehr ursprüngliche Säugetiere, die sowohl Merkmale von Reptilien als auch von Säugetieren aufweisen, sind die Schnabeligel anzusehen. Schnabeligel sind neben den Schnabeltieren die einzigen eierlegenden Säugetiere.

Zeitzeuge der Evolution

Mit der Eröffnung im September 2012 zogen Tiffy und Gonzo aus dem Terrarium Prag in die Themenkoje 8 („Erfolgsmodell Säuger“) im DARWINEUM, die sich dem Evolutionszeitalter des Tertiär und Quartär widmet. Der Schnabeligel ist ein Vertreter der Ursäuger, der den Zwischenschritt in der Evolution nicht ganz abgeschlossen hat. Er legt zwar Eier, ist aber weder Reptil noch Vogel. Er säugt seine Nachkommen, hat aber keine Zitzen. Die lebendigen Zeitzeugen der Evolution leben im DARWINEUM in einem ihrem natürlichen Lebensraum nachempfundenen Gehege. Ein künstlich angelegter Termitenhügel beherbergt eingelassene Futterbereiche für Brei, der unter anderem aus Rinderfilet, Ei, Öl und Vitamin-Mineralstoffzusätzen besteht. Das Zuhause der Schnabeligel bleibt stets im Dunkeln, weil sie nachtaktive Tiere sind und sich sonst kaum zeigen würden.

In Zoos gibt es insgesamt noch sehr wenige Erfahrungen mit Schnabeligeln und noch weniger mit ihrem Fortpflanzungsverhalten. Da in den wenigen Einrichtungen zumeist Tiere mit unbekanntem Geschlecht gehalten werden, kommt es nur sehr selten zu Verpaarungen. Noch seltener wird ein Jungtier aufgezogen. Im Zoo Saarbrücken gelang 1995 vermutlich die erste erfolgreiche natürliche Aufzucht dieser Tiere in Europa. Insgesamt leben laut Zuchtprogramm der Europäischen Vereinigung der Zoos und Aquarien (EAZA) in Europa nur 20 Schnabeligel, die drei verschiedenen Unterarten angehören. Die Rostocker Tiere gehören zur Unterart der Neuguinea-Schnabeligel (Tachyglossus aculeatus lawesii), von der 13 Tiere in Berlin, Budapest, Plzen, Prag und in der Hansestadt gehalten werden. In dieser Art ist noch kein Zuchterfolg bekannt.

Überraschung zum Jahreswechsel

„Bei einerRoutinekontrolle am 4. Januar 2014 haben die Tierpfleger in der Bauchfalte von Tiffy das pergamentartige Ei ertastet“, sagte Kuratorin Antje Zimmermann. „Um die Aufzucht nicht zu gefährden, wurde der Vater Gonzo in ein Gehege hinter die Kulissen gesetzt. Im Schnellverfahren haben die Zoo-Tischler eine Aufzuchtbox nach australischem Vorbild angefertigt. Erst am 3. Februar haben wir uns getraut, vorsichtig eine Beutelkontrolle bei der Mutter durchzuführen. Die Freude war riesig, als wir ein winzig kleines rosafarbenes Jungtier entdeckten. Es hatte zu dem Zeitpunkt ungefähr eine Größe von 20 Millimetern. Die erste Gewichtskontrolle fand am 21. März statt, da brachte das Kleine schon ein Gewicht von 177 Gramm auf die Waage, am 16. April dann 285 Gramm. Absolute Ruhe war das oberste Gebot, da der Mutter schon geringe Abweichungen vom normalen Alltag Stress bereiteten und den Nachwuchs akut gefährdeten“, so die Kuratorin.

Im April hat das Jungtier den Beutel der Mutter verlassen und lebte in der Aufzuchtbox des Geheges in Koje 8. Tiffy hat meistens den Höhleneingang verschlossen, bevor sie sich frei im Gehege bewegte. Sie lag aber auch selbst viel in der Nähe ihres Jungtieres in der Höhle. In der Natur ist es normal, dass die Mutter nur alle paar Tage mal ihr Jungtier aufsucht um ihm etwas Milch zu geben.

Hilfe aus Australien und Nordamerika

Dann passierte etwas, womit keiner gerechnet hatte. Tiffy, die Mutter, starb am 24. April völlig unerwartet an einer schweren Darmentzündung. „Wir begannen unverzüglich mit den Vorbereitungen für eine Handaufzucht“, erläuterte Antje Zimmermann. „Unser größtes Problem war, die richtige Zusammensetzung der Milch heraus zu finden. Sehr hilfreiche Unterstützung erhielten wir von vielen australischen Kollegen, ebenso aus Nordamerika. Erfahrungen mit der Aufzucht von Neuguinea-Schnabeligeln gibt es noch nicht. Unsere Kollegen aus Australien haben aber bereits einige Handaufzuchten von Schnabeligeln anderer Unterarten erfolgreich durchgeführt. Angelehnt an die Erkenntnisse aus Australien haben wir unsere Babynahrung aus Hundeaufzuchtsmilch, Wasser, Öl, Ei und etwas Proteinpulver zusammengemixt. Zu unserem großen Glück hat unser Puggle diese Milchzusammensetzung vom ersten Tag an gut vertragen.“ Die Jungtiere bei den Schnabeligeln werden bei den Australiern Puggle genannt. Die Tierpfleger haben den Rostocker Puggle nach dem Tod der Mutter auf den Namen Harapan getauft, was auf Indonesisch Hoffnung bedeutet. Inzwischen wiegt Harapan rund 425 g.

„Wir füttern den Kleinen, so wie die Mutter es in der Natur macht, ungefähr alle fünf Tage. Dann wird jeweils vor und nach der Fütterung das Gewicht kontrolliert. Die Kurve der Gewichtsentwicklung sieht sehr gut aus. Harapan ist sehr kräftig und sieht inzwischen wie ein richtiger Schnabeligel aus. Er hat schon kräftige Stacheln ausgebildet.“
Die Tage zwischen den Fütterungen schläft das Jungtier überwiegend. Schnabeligeljungtiere brauchen sehr viel Zeit zum Verdauen. Die frische Milch darf nicht auf noch unverdaute Milch im Magen stoßen. Aus diesem Grund müssen die Abstände zwischen den Fütterungen so lang sein. Harapan, dessen Geschlecht noch nicht zu erkennen ist, wird langsam etwas agiler, er hat sich bereits einmal aus seiner Höhle ausgegraben. Zurzeit lebt er geschützt hinter den Kulissen im DARWINEUM in einem kleinen Gehege mit einer Höhle.

„Entscheidend wird der Übergang von der Milchnahrung zur festen Nahrung sein“, machte die Kuratorin deutlich. „Erst, wenn das Tier diesen Schritt gut gemeistert hat, können wir uns so langsam über eine äußerst seltene Erfolgsgeschichte in der Handaufzucht eines ganz besonderen Tieres freuen. In etwa vier Wochen werden wir beginnen, dem Kleinen feste Nahrung anzubieten.“
Ab wann das Jungtier in Koje 8 zu sehen sein wird, hängt vom weiteren Verlauf seiner Entwicklung ab. Voraussetzung für einen Umzug in das elterliche Gehege ist, dass Harapan allein ausreichend Nahrung zu sich nimmt.

Antje Zimmermann bedankte sich bei den „Ersatzmüttern“ von Harapan. „Ohne das große persönliche Engagement der Tierpfleger Jana Wohlfahrt, René Ostendorf, Axel Dobbertin, Ron Zblewski und Detlef Grafunder wäre dieser außergewöhnliche Zuchterfolg nicht möglich gewesen. Dafür bedarf es viel Fingerspitzengefühl und eines großen individuellen Engagements.“

Hintergrund
Neuguinea-Schnabeligel (Tachyglossus aculeatus lawesii)

Schnabeligel zählen zu den Kloakentieren und zur Familie der Ameisenigel. Sie weisen wie die allerersten Säugetiere sowohl Merkmale von Säugetieren wie auch von Reptilien auf. Sie legen Eier in eine körpereigene Bruttasche, die nur für die Fortpflanzungszeit ausgebildet wird. Darin säugen sie die winzigen Jungen nach dem Schlüpfen über ein Milchdrüsenfeld. Obwohl die Kurzschnabeligel auf den ersten Blick fast wie einheimische Igel aussehen, sind sie nicht miteinander verwandt. Beide unterscheiden sich insbesondere in ihrer Fortpflanzung, aber auch im Verhalten und im Körperbau. Als Kloakentiere besitzen die Schnabeligel nur eine Körperöffnung für Kot, Urin und die Ei-Ablage. Ein wesentlicher, gut sichtbarer Unterschied ist die lange, röhrenförmige Schnauze. Ihren natürlichen Lebensraum haben Schnabeligel in Australien und im Süden Neuguineas. Dort sind sie weit verbreitet und werden bis zu 45 Jahre alt. Im Freiland fressen Kurzschnabeligel vor allem Ameisen, Termiten und Insekten. 

Geburt und Aufzucht

Der weibliche Schnabeligel legt sich auf den stacheligen Rücken und das winzige Ei gleitet aus der Kloake, es wird anschließend in eine eigens dafür angespannte Bauchfalte manövriert. Dort brütet das Ei zehn Tage lang. Das Jungtier hackt sich mit einem einzelnen Zahn, den es gleich darauf wieder verliert, frei. Embryonenhafte Jungtiere haben beim Schlupf aus dem Ei eine Größe von 13 bis 15 Millimeter und ein Gewicht von ungefähr 0,30 bis 0,40 Gramm. Schon nach ca. 14 Tagen erreicht das Jungtier das 100fache seines Geburtsgewichtes.
Ca. zwei Monate verbleibt Jungtier in der Bauchfalte. Das Muttertier versorgt das Jungtier über ein Drüsenfeld mit Milch. Zitzen gibt es nicht. Erst wenn die ersten Stacheln wachsen, legt die Mutter den pieksenden Nachwuchs in einer Höhle ab. Danach wird das Jungtier nur alle paar Tage von der Mutter aufgesucht, um es an ihren Milchdrüsenfeldern trinken zu lassen. Nach ca. 75 Tagen öffnen sich die Augen, eine Entwöhnung erfolgt nach ca. sechs bis sieben Monaten. Erst nach einem Jahr verlässt die Mutter das Jungtier endgültig.

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