Hodenhagen – Tapsig flitzt der kleine Nashornbulle Kai über die rund 15 Hektar große Freianlage im Serengeti-Park Hodenhagen. Knapp drei Monate ist er alt und macht – immer unter dem wachsamen Blick seiner Mutter Kianga – neugierig Bekanntschaft mit Steppenzebras, Watussis, Mendesantilopen und Straußen. Ganz besonders niedlich: Hier draußen tobt er nun auch mit dem kleinen Nashornmädchen Salma, das nur 12 Wochen älter ist als er. Aus dem Vorgehege beobachtet das dritte Nashornjungtier Zawadi aufmerksam den Trubel.
Was Kai nicht ahnt: Im Jahr 1991 hat hier schon einmal ein Nashornbulle mit dem Namen Kai seine ersten mutigen Schritte gemacht. Und er hat vor 25 Jahren, im Alter von nur fünf Jahren, bereits Weltgeschichte geschrieben!
Mit Kai kehrte im September 1996 zum ersten Mal ein in Obhut des Menschen
geborenes Nashorn in die Heimat seiner Vorfahren zurück – ein absoluter Meilenstein im Wildlife-Management und internationalen Artenschutz.
1991 kam Kai in Hodenhagen zur Welt und entwickelte sich Dank der Fürsorge seiner Mutter Doris und den einmaligen Haltungsbedingungen im Serengeti-Park prächtig. Noch konnte er nicht ahnen, dass ihm eine Reise bevorstand, die noch kein Breitmaulnashorn vor ihm je angetreten hatte.
Wegen ihres Hornes werden die majestätischen Tiere in freier Wildbahn gnadenlos gejagt und sind daher vom Aussterben bedroht. So stellte sich die Frage: Kann man zur Rettung der Art in menschlicher Obhut geborene Breitmaulnashörner in geschützte Reservate auswildern, um so letztendlich eine ganze Population in die natürliche Heimat zu integrieren?
Fabrizio Sepe, der 25-jährige Sohn des damaligen Serengeti-Park-Inhabers Paolo Sepe, war sich sicher: „Ja, wir können der Natur etwas Wertvolles zurückgeben und unser Kai kann diese bisher noch nie von einem Nashorn angetretene Reise schaffen!“ Er überzeugte seinen Vater, denn Artenschutz lebt vom Handeln, nicht vom drüber reden! So begann die monatelange Vorbereitung der besonderen Reise.
Nachdem zunächst die namibischen Behörden die Genehmigung zur Wiederansiedlung eines in Europa geborenen Breitmaulnashorns im Etosha-Nationalpark erteilten, mussten von deutschen und namibischen Behörden die nötigen Genehmigungen für die Ausfuhr sowie Einfuhr eines Nashorns eingeholt werden. „Dieser ganze Schriftverkehr mit sämtlichen Gutachten allein hat uns fast vier Monate Zeit gekostet“, erinnert sich Fabrizio Sepe. „Und dann begann meine Arbeit: Ich musste Sponsoren für den Transport auf der Straße, die Verladung und die Flüge auftreiben. Schon die diversen Flughafengebühren kosteten damals rund 30.000 Mark. Sechs Monate mit unzähligen Telefonaten, Gesprächsterminen und vielen Aufs und Abs später hatte ich es geschafft: Insgesamt 14 Stunden Flugzeit und 12 Stunden Tieflader-Transport waren organisiert!“
Am 22. September 1996 stieg Kai in Hodenhagen in einen riesigen Transportcontainer und ging auf die Reise – Millionen von Fernsehzuschauern und Zeitungslesern verfolgten gebannt die Berichterstattung und drückten ihm die Daumen. Würde Kai sich an die Hitze im Norden Namibias gewöhnen? Würde er mit der dürren Savannen-Nahrung zurechtkommen und würde er Wasserlöcher finden? Würde er mit anderen Nashörnern in Kontakt treten?
Der Etosha Nationalpark liegt an der Grenze zu Angola, etwa 500 km von Windhoek entfernt und umfasst ein Areal von ca. 22.270 qkm, was etwa der Hälfte der Fläche Niedersachsens entspricht. Dieses Naturschutzgebiet ist eines der letzten und größten Wildreservate unserer Erde und eine geschützte Heimat für Nashörner. Hier wird ein intensiver Naturschutz betrieben, der zu einer großen und abwechslungsreichen Tierfülle geführt hat.
Kai wurde in Namibia zunächst in einer Boma, einem einfachen Eingewöhnungsgehege, untergebracht. Er musste erst einmal die dort vorhandene Grasnahrung langsam kennenlernen und sich an das Klima gewöhnen. Tatsächlich war zu beobachten, wie er sich anpasste und sich zum Beispiel seine Haut verdickte, um ihn vor der starken Sonneneinstrahlung zu schützen.
Am 9. März 1997 war es soweit: Die Tore der Gehege wurden geöffnet und Kai stand der Weg in die freie Wildbahn offen. „Kai ging vorsichtig aus dem Gehege. Nach etwa 40 oder 50 Metern blieb er stehen und schaute zu uns zurück, bevor er im Busch verschwand“, erinnert sich Sepe. „Jetzt wurde alles sehr real, es war der endgültige Abschied. Das war ein sehr emotionaler Moment für mich. Ich hatte das ergreifende Gefühl, dass sich Kai mit seinem letzten Blick zurück von uns verabschiedet hat.“
Natürlich wurde Kai in dem Nationalpark weiterhin überwacht. Er hatte einen Sender bekommen, mit dem man ihn auch über größere Entfernungen orten konnte. „Wir wollten wissen, ob er sich an die Wildbahn gewöhnt und in Kontakt zu anderen Tieren seiner Art tritt. Große Sorge hatten wir, ob Kai in der Etosha-Pfanne, in der monatelange Trockenheit herrscht, ausreichend Nahrung und vor allem Wasserquellen finden würde“, erklärt Sepe. Sein erstes halbes Jahr in der Wildnis wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes überwacht.
„Was wir dort herausfanden war fast wie ein Wunder. Kai zeigte uns, dass er die Wildnis im Blut hatte, trotz seiner Herkunft. Er war auch ohne jedes natürliche Training in einer Herde vor Ort von alleine in der Lage, Wasseradern aufzuspüren und ihnen bis zu einem Wasserloch zu folgen. Diese wichtige Erkenntnis war die Grundlage dafür, dass in späteren Jahren weitere Nashörner zum Beispiel aus dem Krüger-Nationalpark in Südafrika nach Namibia eingeflogen wurden.“, so Sepe.
Fabrizio Sepe flog noch viele Jahre regelmäßig nach Namibia, um mit den Rangern zu sprechen und mit ihnen gemeinsam Kai aufzuspüren. Über die Jahre hat Kai insgesamt neun gesunde Kälber gezeugt, bis er schließlich im Alter von 28 Jahren verstorben ist.
„Wir sind sehr stolz auf unseren Kai und darauf, mit diesem Projekt einen wichtigen Grundstein gelegt zu haben. Wir haben nicht nur über Artenschutz geredet, wir haben gehandelt und etwas Großartiges vollbracht!“, erklärt Fabrizio Sepe. „Artenschutz ist und bleibt für uns eine zentrale Aufgabe. Ich habe Kai auf seiner Reise in die Wildnis begleitet. Der Natur etwas zurückzugeben war auch für mich persönlich ein sehr bewegender Moment. Ich freue mich in diesem Jahr, zum 25. Jubiläum der Auswilderung, dem 51. bei uns geborenem Nashorn den stolzen Namen Kai zu geben!“