Schwerin – Der Deutsche Bundestag hat heute das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Versorgungsstärkungsgesetz) beschlossen. Es soll Kassenpatienten viele Vorteile bringen – von kürzeren Wartezeiten auf Facharzttermine bis zur Zweitmeinung vor einer Operation.
Binnen vier Wochen erhalten Patienten künftig einen Facharzttermin. Deshalb müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen Terminservicestellen einrichten. Das kann noch bis Januar 2016 dauern. Bereits jetzt haben rund 50 Krankenkassen einen Facharzt-Terminservice, der telefonisch einen Termin vermittelt.
Das Gesetz fördert auch in Regionen Praxiseröffnungen, wo eine Unterversorgung droht. Dafür gibt es Geld aus einem Fonds, der von Ärzten und Krankenkassen finanziert werden soll. Auf der anderen Seite müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen Arztpraxen abbauen, wenn ihre Zahl in einer Region den Bedarf um 40 Prozent übersteigt und der bisherige Praxisinhaber in den Ruhestand geht. So soll vermieden werden, dass sich junge Ärzte in überversorgten Regionen ansiedeln. Fraglich ist jedoch, ob eine Überversorgung geringer wird, wenn sie bei 40 Prozent festgeschrieben ist.
Warten auf einen Termin beim Facharzt oder Psychotherapeuten, aus dem Krankenhaus entlassen ohne Rezept für notwendige Medikamente, eine Operation steht bevor, und man hätte gern eine zweite Meinung: Viele gesetzlich Versicherte kennen solche Probleme. Das neue Versorgungsstärkungsgesetz, das ab Sommer in Kraft tritt, soll die Lage verbessern.
Kassenärztliche Vereinigungen müssen Terminservicestellen einrichten
Wie schnell erhalten die Patienten künftig einen Facharzttermin?
Binnen vier Wochen. Diese Frist gilt auch für einen Termin bei Psychotherapeuten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) müssen Terminservicestellen einrichten. Schaffen sie es nicht, einen Patienten innerhalb der Vier-Wochen-Frist ins Sprechzimmer des Facharztes zu bekommen, müssen sie einen ambulanten Behandlungstermin im Krankenhaus vermitteln. Voraussetzung für die Terminvergabe ist eine Überweisung des Hausarztes. Hier gibt es jedoch Ausnahmen: Einen Termin beim Augenarzt oder Frauenarzt müssen die Servicestellen den Patienten auch ohne Überweisung vermitteln.
Ab wann gibt es die Terminservicestellen?
Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben sechs Monate Zeit, sie aufzubauen. Es kann also Januar oder Februar 2016 werden – ab dann können die ersten Versicherten dort anrufen. Bis die Terminservicestellen auch Termine beim Psychotherapeuten vermitteln, soll es jedoch noch länger dauern: bis Ende 2016.
Entfernung zur Facharztpraxis muss „zumutbar“ sein
Dürfen Kassenpatienten wählen, an welchen Arzt sie vermittelt werden wollen?
Nein. Es besteht kein Anspruch auf die Vermittlung eines Termins bei einem bestimmten Arzt. Die Entfernung zur Facharztpraxis muss jedoch „zumutbar“ sein. Dabei ist die „öffentliche Verkehrsanbindung zu berücksichtigen“. Wer von seinem Wunscharzt behandelt werden möchte, muss weiterhin so lange warten, bis er dort einen Termin bekommt.
Ist der Grund für die derzeit oft langen Wartezeiten ein Mangel an Fachärzten?
Nein, im Gegenteil. Die Zahl der Fachärzte ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Doch es gibt eine „räumliche Fehlverteilung der Versorgungskapazitäten“, sagt der vom Bundesgesundheitsminister eingesetzte wissenschaftliche Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen. Die Ärzte sind oft nicht dort, wo sie gebraucht werden. Es gibt Regionen, wo es mehr als genug Ärzte gibt, und Regionen mit zu wenig Ärzten. Beispiel Augenärzte: 6,5 Augenärzte kommen im Bundesdurchschnitt auf 100 000 Einwohner, Grafik: Wo es wie viele Augenärzte gibt. In der Stadt Kempten sind es doppelt so viele: 12,9. Im benachbarten Kreis Oberallgäu sind es dagegen nur 2,7 Augenärzte. In anderen Regionen bietet sich ein ähnliches Bild: In Cottbus sind es 10,8; im benachbarten Spree-Neiße-Kreis nur 4.
Künftig können auch Kommunen eigene Versorgungszentren gründen
Wird die Verteilung der Ärzte künftig verbessert?
Vielleicht. Um Mangel und Überfluss besser ins Lot zu bringen, sieht das Gesetz einerseits die Förderung von Praxiseröffnungen dort vor, wo eine Unterversorgung droht. Dafür gibt es Geld aus einem Fonds, der von Ärzten und Krankenkassen finanziert werden soll. Auf der anderen Seite müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen Arztpraxen abbauen, wenn ihre Zahl in einer Region den Bedarf um 40 Prozent übersteigt und der bisherige Praxisinhaber in den Ruhestand geht. So soll vermieden werden, dass sich junge Ärzte in überversorgten Regionen ansiedeln. Fraglich ist jedoch, ob eine Überversorgung geringer wird, wenn sie bei 40 Prozent festgeschrieben wird.
Was ist bei der Versorgung sonst noch Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen?
Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssen die ambulante Versorgung überall in Deutschland sicherstellen. Die Vorschrift dafür ist lasch: Sie erfüllen ihren Auftrag erst dann nicht, wenn sie weniger als 50 Prozent des Ärztebedarfs in einer Region gewährleisten. Schaffen sie dies nicht, geht der „Sicherstellungsauftrag“ an die Krankenkassen über. Diese müssen dann beispielsweise ausländische Ärzte unter Vertrag nehmen, um die medizinische Versorgung in einer Region zu gewährleisten.
Was sieht das Gesetz vor, um die medizinische Versorgung auf dem Land zu verbessern?
Künftig können auch Kommunen eigene medizinische Versorgungszentren gründen. Dort können unter einem Dach Ärzte einer Fachrichtung oder Mediziner verschiedener Fachrichtungen behandeln.
Krankenhausärzte können jetzt Rezepte ausstellen
Welche Verbesserungen gibt es beim Krankengeld?
Der Anspruch auf Krankengeld gilt nun ab dem Tag der Krankschreibung, nicht erst ab dem folgenden. Dadurch gibt es keine Zahlungsunterbrechung mehr oder gar den Verlust des Anspruchs. Bisher gab es einen Karenztag: Ein Kranker, der zum Arzt ging, um sich auch über die Dauer der Lohnfortzahlung hinaus krankschreiben zu lassen, hatte erst ab dem folgenden Tag Anspruch auf Krankengeld. Brauchte jemand eine erneute Krankschreibung, musste er bisher also spätestens am vorletzten Tag der Krankschreibungsdauer zum Arzt gehen, damit er nahtlos Krankengeld bekam. Wenn das Beschäftigungsverhältnis während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit endete, konnte es noch schlimmer sein: Ging der Kranke einen Tag zu spät zum Arzt oder fiel das Ende der zuvor bescheinigten Arbeitsunfähigkeit auf ein Wochenende und ein Arztbesuch war erst Montag möglich, verlor der Versicherte seinen Anspruch auf Krankengeld ganz.
Welche neuen Leistungen gibt es nach einer stationären Behandlung im Krankenhaus?
Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen werden, müssen nicht gleich zu einem niedergelassenen Arzt, um ihre Medikamente verschrieben zu bekommen und weitere Leistungen zu erhalten. Jetzt können Krankenhausärzte Rezepte ausstellen – aber nur für die „jeweils kleinste Packung gemäß der Packungsgrößenverordnung“. Wie bisher schon kann das Krankenhaus dem entlassenen Patienten Medikamente für einen kurzen Zeitraum mitgeben. Neu ist, dass Krankenhausärzte Krankenpflege und Heilmittelversorgung für eine Dauer von maximal sieben Tagen verordnen können. Auch dürfen sie künftig eine Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sieben Tagen bescheinigen. So muss der Patient nach seiner Entlassung nicht gleich zum niedergelassenen Arzt.
Zweitmeinung vor einer OP soll künftig die Regel sein
Welche neuen Rechte haben Versicherte vor einer Operation?
Vor einer geplanten Operation haben Versicherte künftig das Recht, den Eingriff mit einem anderen Arzt in einer Praxis, einem Krankenhaus oder einem medizinischen Versorgungszentrum zu besprechen. Diese Zweitmeinung vor einer OP soll die Regel sein, „damit sich die Versicherten darauf verlassen können, dass nur solche Eingriffe durchgeführt werden, die auch tatsächlich medizinisch notwendig sind“, heißt es im Gesetz. Der behandelnde Arzt muss den Patienten auf sein neues Recht hinweisen.