Schwerin – Ab einer Grenze von 70 Euro können EU-Bußgelder und Geldstrafen in Deutschland eingetrieben werden. Vor allem die Niederländer machen davon Gebrauch. Nur Griechenland, Irland und Italien haben den entsprechenden Rahmenbeschluss der Europäischen Union nicht umgesetzt und können deshalb ihr Geld woanders nicht eintreiben. Unabhängig davon, ob das Bußgeld für das Verkehrsdelikt im Ausland in Deutschland vollstreckbar ist oder nicht: In manchen Fällen ist es besser, freiwillig zu zahlen.
Die 70-Euro-Grenze ist schnell erreicht: Erwischt die Polizei einen Autofahrer mit Handy am Steuer, zahlt er in Deutschland 60 Euro, in Frankreich ab 135 Euro, in Spanien ab 200 Euro und in den Niederlanden 230 Euro. Viele Länder vollstrecken die verhängten Bußgelder jedoch nicht. Urlauber, die nach ihrer Rückkehr nichts mehr von ihrem Verkehrsdelikt hören, könnten die Angelegenheit in den meisten Fällen also einfach aussitzen. Auch auf Briefe von Inkassobüros müssen sie nicht reagieren. Inkassobüros haben keine Möglichkeit, die Forderung zu vollstrecken und setzten darauf, dass der Angeschriebene freiwillig zahlt.
Wer jedoch noch einmal in das Land reisen möchte, in dem er als Verkehrssünder erwischt wurde, muss bei einer offenen Geldbuße mit Konsequenzen rechnen. In manchen Ländern fällt die fehlende Zahlung bei der Passkontrolle am Flughafen auf, in anderen bei einer Verkehrskontrolle. Um den nächsten Urlaub entspannt genießen zu können, kann es sich deshalb lohnen, freiwillig zu zahlen.
Zahlen – oder nicht zahlen?
Schlappe 510 dänische Kronen für Falschparken in Kopenhagen – Sebastian M. ärgert sich schwarz, wenn er nur daran denkt. Umgerechnet sind das etwa 68 Euro. Ein Knöllchen steckte an der Windschutzscheibe. Aus dem Urlaub zurück stellt sich die Frage: Zahlen oder nicht?
EU-Bußgeld in Europa vollstreckbar
Seit fast fünf Jahren gilt in Deutschland ein Rahmenbeschluss der Europäischen Union. Danach können ab einer Bagatellgrenze von 70 Euro ausländische Geldstrafen und -bußen in Deutschland vollstreckt werden. Das betrifft nicht nur Verkehrsdelikte, sondern zum Beispiel auch Geldstrafen, die europäische Gerichte in anderen Fällen verhängen. Vollstrecken heißt: Das Geld kann eingetrieben werden, wenn der Betroffene nicht freiwillig zahlt. Fast alle EU-Mitgliedsstaaten haben den Rahmenbeschluss in nationales Recht umgesetzt – außer Griechenland, Irland und Italien. Diese Länder können ihr Geld woanders nicht eintreiben.
Für Österreich gelten besondere Regeln
Deutschland hat außerdem ein bilaterales Abkommen mit Österreich. Danach können Geldbußen aus Österreich schon ab 25 Euro vollstreckt werden. Die Vollstreckung betrifft nur Geldforderungen. Kostet der Verstoß den Führerschein, kann das in Deutschland nicht umgesetzt werden. Ebenso wenig gibt es für Verstöße im Ausland Punkte beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg.
Horrendes Bußgeld für Verstöße
Die 70-Euro-Grenze ist schnell erreicht. Schon kleine Vergehen am Steuer ziehen im europäischen Ausland hohe Geldbußen nach sich. Ein Beispiel des ADAC: Erwischt die Polizei einen Autofahrer mit Handy am Steuer, zahlt er in Deutschland 60 Euro, in Frankreich ab 135 Euro, in Spanien ab 200 Euro und in den Niederlanden 230 Euro. Für die Bagatellgrenze von 70 Euro kommt es außerdem nicht allein auf die Höhe des Bußgeldes an. Die Verfahrenskosten werden zur Geldbuße hinzugezählt.
Bußgeld im Ausland
Land |
20 km/h zu schnell (Euro) |
Rotlichtverstoß (Euro) |
---|---|---|
Dänemark |
Ab 135 |
270 |
Frankreich |
Ab 135 |
Ab 135 |
Kroatien |
Ab 65 |
Ab 260 |
Niederlande |
Ab 160 |
230 |
Norwegen |
Ab 420 |
600 |
Österreich |
Ab 30 |
Ab 70 |
Spanien |
Ab 100 |
Ab 200 |
Türkei |
Ab 55 |
Ab 55 |
Zum Vergleich: Deutschland |
Bis 35 |
90 bis 320 |
Stand: März 2015.
Quelle: ADAC.
Kein Bescheid ohne Halterdaten
Der ausländische Polizist oder Blitzer hält in der Regel nur das Kennzeichen fest. Um das Bußgeld eintreiben zu können, muss die Behörde des Reiselandes aber wissen, gegen wen der Bescheid ergehen soll. Mithilfe des Kennzeichens kann sie eine Anfrage beim Kraftfahrtbundesamt in Deutschland stellen, das die Halterdaten herausgibt – aber nur bei Verstößen, die die Sicherheit des Verkehrs gefährden. Das sind zum Beispiel zu hohe Geschwindigkeit, Missachten einer roten Ampel oder Alkohol am Steuer. Die Auskunftspflicht gilt nicht für Parkverstöße, sodass die Behörde den Halter in der Regel nicht anschreiben kann. Gelangt sie aber auf anderem Wege an die Halterdaten, kann sie ihn zur Zahlung auffordern und das Bußgeld vollstrecken lassen.
Rechtzeitig Einwände vorbringen
Hat die ausländische Behörde die Halterdaten erfragt, stellt sie den Bußgeldbescheid zu. Wenn sich der Halter zu Unrecht bezichtigt fühlt, muss er jetzt seine Einwände geltend machen. Zum Beispiel kann er vorbringen, dass er gar nicht gefahren ist. Das muss er in der Landessprache oder in einer Sprache tun, die vom Land akzeptiert wird, zum Beispiel auf Englisch. „Wenn der Vorwurf unberechtigt ist, empfehle ich, einen deutschsprachigen Anwalt im Reiseland zu beauftragen, der sich mit Verkehrsvergehen gut auskennt“, sagt Roman Becker, Fachanwalt für Verkehrsrecht in Berlin. Der ADAC nennt im Internet sogenannte Vertrauensanwälte in ganz Europa.
Für Schnellzahler gibt es Rabatt
Ist der im Bußgeldbescheid genannte Vorwurf berechtigt, kann der Betroffene die Forderung gleich zahlen. Manche Länder bieten sogar Rabatte für Schnellzahler an. „Wenn der Betroffene nicht zahlt, wäre die Geschichte ohne den Rahmenbeschluss der EU jetzt zu Ende erzählt“, sagt Rechtsanwalt Becker. „Die ausländische Behörde hatte keine Möglichkeit zu handeln, die Verfahren verliefen im Sande.“ Heute aber kann sie sich an das Bundesamt für Justiz (BfJ) wenden und dort beantragen, dass der Bußgeldbescheid vollstreckt wird.
Betroffener muss angehört werden
Das BfJ ist in Deutschland zuständig für ein- und ausgehende Vollstreckungsersuchen. Es stellt sicher, dass sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind, etwa dass die verhängte Geldsanktion mindestens 70 Euro beträgt oder der Betroffene die Möglichkeit hatte, zum Vorwurf Stellung zu nehmen. Das bedeutet auch, dass die Kernaussage des Bescheids in der Regel auf Deutsch verfasst sein muss. Wenn nichts gegen eine Vollstreckung spricht, erhält der Betroffene Post vom BfJ und hat zwei Wochen Zeit, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Das BfJ weist Ersuchen zurück, wenn das Bußgeld den Halter trifft, obwohl er für den Verstoß nicht verantwortlich war, er damit im Ausland kein Gehör fand und er dies gegenüber dem BfJ angibt.
Viele Länder lassen nicht vollstrecken
Wenige Länder nutzen die neuen Möglichkeiten. „Im Jahr 2014 hatten wir 9 395 eingehende Ersuchen. Dabei geht es nicht nur, aber zum großen Teil um Bußgelder wegen Verkehrsdelikten“, sagt Thomas Ottersbach vom BfJ. „Über 98 Prozent der Ersuchen kamen aus den Niederlanden. Andere Länder schicken so gut wie gar nichts.“ Das eingetriebene Geld bleibt übrigens in Deutschland und geht nicht an das Urlaubsland. „Das sollte die anderen Länder nicht von der Vollstreckung abhalten“, sagt Becker. „Das Geld ist ja keine Einnahmequelle, sondern soll die Autofahrer dazu bringen, die Verkehrsregeln im Ausland einzuhalten.“ Urlauber, die nach ihrer Rückkehr nichts mehr von ihrem Verkehrsdelikt hören, können die Angelegenheit in den meisten Fällen also einfach aussitzen.
Post vom Inkassobüro ignorieren
Aussitzen gilt auch für Briefe von Inkassobüros. Diese haben keine Möglichkeit, die Forderung zu vollstrecken und setzen darauf, dass der Angeschriebene freiwillig zahlt. „Nicht einschüchtern lassen“, rät Becker. „Wenn der Betroffene allerdings Post von einem deutschen Gericht oder dem BfJ bekommt, sollte er diese genau lesen.“
Praktische Falle: Erneute Einreise
In Sebastian M.s Fall wäre die Behörde wegen des Parkverstoßes wohl nie an seine Daten gekommen. Also alles halb so schlimm – wäre da nur nicht die geplante Reise nach Bornholm, ebenfalls Dänemark. „Wer nochmals in das Land einreist, in dem er als Verkehrssünder erwischt wurde, muss bei einer offenen Geldbuße mit Konsequenzen rechnen“, sagt Becker. Dabei ist egal, ob es sich um eine Forderung handelt, die hier gar nicht vollstreckt werden könnte, zum Beispiel ein Bußgeld aus Italien. Es gilt das Recht des Reiselandes.
Zahlen für die entspannte Wieder-Einreise
In manchen Ländern fällt die offene Geldbuße bei der Passkontrolle am Flughafen auf, in anderen bei einer Verkehrskontrolle. Sebastian M. kontaktierte die Behörde von sich aus. Diese hielt am Bußgeld fest. Zähneknirschend zahlte er, um den nächsten Dänemark-Urlaub entspannt zu genießen. Vor allem die Niederlande lassen Bußgeld eintreiben. Italien, Irland und Griechenland können das nicht.