Schwerin – In Kolumbien tagt derzeit ein internationales Team, um über die Zucht und die Arterhaltung des südamerikanischen Riesenotters zu beratschlagen. Ziel ist es auch, ein globales Zuchtprogramm zu etablieren, das von Schwerin aus geleitet wird. Den Workshop leitet Dr. Tim Schikora, Zoodirektor des Zoos Schwerin.
Natürlich ist es nach wie vor eine von vielen Aufgaben von Zoos, der Öffentlichkeit Tiere näher zu bringen, die sie allenfalls aus Fernsehen, Büchern oder anderen Medien kennt. Umweltbildung, Artenschutz und Forschung sind weiter Pfeiler der Zooarbeit, ebenso wie das Management rund um den Tierbestand. Letzteres geschieht abseits des für Besucher wahrnehmbaren Zootreibens, erfordert aber viel Zeit und Geduld.
Mitnichten stammen die Tiere heute noch als Wildfänge aus ihren natürlichen Lebensräumen. Der meisten Arten wird zwischen den Zoos getauscht und in gemeinsamen Programmen koordiniert gezüchtet. Diese Zuchtprogramme waren ursprünglich eine pragmatische Reaktion auf das in den 1970er Jahren erlassene internationale Handelsverbot für gefährdete wild lebende Pflanzen- und Tierarten. Es war schlicht nicht mehr möglich, Exoten wie Tiger, Nashörner oder Affen aus der Wildbahn zu entnehmen. Heute wandeln sich diese Zuchtprogramme mehr und mehr zu Erhaltungsprogrammen für vom Aussterben bedrohte Arten.
Ein solches Programm koordiniert auch der Zoo Schwerin. Im Fokus steht der hier der südamerikanische Riesenotter – mit seinem Gewicht von bis zu 30 Kilogramm und einer Körperlänge von knapp zwei Metern – immerhin eines der größten Raubtiere des lateinamerikanischen Kontinents. Die genaue Zahl der wild lebenden Tiere ist nicht bekannt, sicher ist jedoch, dass die Verschmutzung der Gewässer, der Bau von Staudämmen sowie der Verlust des Lebensraums zu einem deutlichen Rückgang der Bestände führen. Daher wird der südamerikanische Riesenotter durch die Weltnaturschutzunion (IUCN) in der zweithöchsten Gefährdungsstufe geführt.
In Europa werden 62 Tiere dieser Art gehalten, für deren nachhaltige Zucht Dr. Tim Schikora, Direktor des Schweriner Zoos, verantwortlich ist. Hierfür gilt es alle Veränderungen im Tierbestand genauestens im Zuchtbuch zu dokumentieren, Verwandtschaftsverhältnisse zu analysieren, Haltungsbedingungen zu optimieren und genetisch passende Zuchtpaare zu finden.
Es ist jedoch schwierig, weitere gute Plätze in Zoos für den Nachwuchs zu finden. Bei den Kollegen in Nordamerika wird die enge Verwandtschaft der Tiere zunehmend zum Problem; hier werden Tiere zur Blutauffrischung benötigt. Und den Kollegen in Lateinamerika fällt die Zucht nicht leicht, es fehlt eine ausreichende Anzahl männlicher Tiere. Allen beteiligten Zuchtbuchführern ist klar: Für diese Probleme muss eine gemeinsame, globale Lösung gefunden werden.
Um einen ersten Ansatz zu finden, befindet sich Dr. Tim Schikora derzeit auf eigene Kosten in Kolumbien, wo er federführend mit seinem südamerikanischen Zuchtbuchkollegen einen mehrtägigen Workshop veranstaltet. Gemeinsam mit einem internationalen Team aus Spezialisten für zootypische Fachgebiete, wie Zuchtmanagement, Tierernährung, Tiertraining und Tierpflege wird mehrere Tage beratschlagt, wie es künftig weitergehen kann. Es gilt die Haltungsbedingungen in Südamerika zu verbessern und Einigkeit über ein globales Zuchtmanagement zu erlangen. Zudem soll unter dem Schirm des Zooweltverbandes (WAZA) ein globales Zuchtprogramm etabliert und vom Zoo Schwerin gesteuert werden.
Aber nicht nur die Zucht in Zoos ist Thema. Auch Vertreter von Naturschutzgebieten, der IUCN und Forschung sowie des kolumbianischen Umweltministeriums sind vertreten. Denn ein großes Thema des Workshops ist auch, wie die Arbeit von Zoos und Artenschutzprojekten im natürlichen Verbreitungsgebiet sinnvoll verknüpft werden kann. So gibt es viele Fragen, die in der Freilandforschung nicht gelöst werden können oder deren Methodik erst im Zoo getestet werden müssen. Die Ergebnisse sind für den Erhalt der Art in der Wildnis relevant. Auch eine mögliche Auswilderung überzähliger Zootiere in Schutzgebieten, in denen der Riesenotter heute ausgerottet ist, wird als Option diskutiert.
Damit es nicht nur bei der Theorie bleibt, reist Tim Schikora im Anschluss an die Tagung weiter in kolumbianische Zoos, um vor Ort die Haltung der Otter zu besprechen und das Netzwerk weiter auszubauen.