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Stilles Gedenken erinnert an die Opfer der Pogromnacht in Schwerin

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Schwerin – 75 Jahre ist es her: Am 9. November 1938 schlug die systematische Diskriminierung und Verfolgung der der jüdischen Bevölkerung in blanken Terror um. In der Pogromnacht brannten überall in Deutschland und Österreich die Synagogen. Jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden verwüstet und geplündert – auch in Schwerin. Daran will Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow am Sonnabend mit einem stillen Gedenken an den Stolpersteinen erinnern, die in Schwerin seit 2008 an die Opfer des faschistischen Terrors erinnern. Um 13.00 Uhr wird sie an einigen zentral gelegenen Stolpersteinen weiße Rosen niederlegen. „Die Stolpersteine erinnern uns daran, dass Demokratie kein Geschenk ist und wir auch heute verhindern müssen, dass Menschen wegen ihrer Religion oder Weltanschauung, wegen ihres Alters oder Geschlechts diskriminiert oder verfolgt werden“, so die Oberbürgermeisterin.

So erinnern fünf Stolpersteine unter anderem an das Schicksal der Familie Kychenthal. Louis Kychenthal war Inhaber des beliebten Kaufhauses Kychenthal am damaligen Altstädischen Markt 14 (heute Am Markt 14). Er wurde in der Pogromnacht am 9. November 1938 verhaftet und in Neustrelitz inhaftiert. In der Haft wurde er gezwungen, sein Haus zu verkaufen. Ihm  erging es wie allen anderen noch in Schwerin verbliebenen Juden: Er musste ab 1942 einen Raum in den Häusern der Jüdischen Gemeinde am Schlachtermarkt beziehen. Von dort ging der letzte Transport von Juden aus Schwerin am 11. November 1942 nach Theresienstadt.

42 Stolpersteine geben Opfern ihre Namen zurück

42 dieser 10 mal 10 Zentimeter großen Messingplättchen wurden in der Landeshauptstadt  jeweils vor den letzten selbst gewählten Wohnorten der Opfer in den Gehweg eingelassen und dokumentieren deren Einzelschicksale, soweit diese bekannt sind. „Die Steine zeigen, dass die Menschen, die in unserer Stadt zwischen 1933 und 1945 gedemütigt, verjagt, verfolgt, deportiert und ermordet wurden, mitten unter den Schwerinerinnen und Schwerin lebten. Und sie geben den Opfern ihre Namen zurück, damit sie nicht vergessen sind“, meint Sabine Klemm, die in Schwerin 2008 zu den Initiatoren des Projekts gehörte.

Was geschah vor 75 Jahren?

Vortrag des Stadtarchivars über das Novemberpogrom in Schwerin

Was geschah vor 75 Jahren in Schwerin, als überall in Deutschland die Synagogen brannten? Mit dieser Frage befasst sich am 11. November der Leiter des Schweriner Stadtarchivs Dr. Bernd Kasten, der auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung um 19 Uhr im Dokumentationszentrum Schwerin, Obotritenring 106, zu Gast ist. Dr. Bernd Kasten lehrt auch als Privatdozent am Historischen Institut der Universität Rostock und hat mehrere Bücher und Aufsätze zum Thema der Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Juden in Mecklenburg veröffentlicht. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei. Um Anmeldung wird gebeten unter Tel: 0385-74529911 oder dokuzentrum-schwerin@lpb.mv-regierung.de.

Hintergründe zur Judenverfolgung in Schwerin

Im April 1938 zählte die jüdische Gemeinde in Schwerin noch 49 Mitglieder. Am frühen Morgen des 10. November 1938 wurden die noch bestehende jüdischen Geschäfte, das Kaufhaus Kychenthal am Markt, der Zigarrenladen von Gustav Perl, das Geschäft des Juweliers Fritz Löwenthal in der Schmiedestraße 18, die Werkstatt des Schneiders Zoltobrodsky und das Schirmgeschäft Resi in der Kaiser-Wilhelm-Straße verwüstet und zerstört. Benno Zoltobrodsky schilderte die Ereignisse: „Unser Schaufenster wurde eingeschlagen und alles in dem Laden zerstört und in Stücke geschnitten. Ich schlief in einem kleinen Raum hinter dem Laden und hatte Glück, nicht gefunden zu werden (…). Während die Zerstörung ihren Lauf nahm, hörte ich einen unser Nachbarn erfreut ausrufen: „Hurra! Jetzt schlägt man dem Juden alles kurz und klein!“ – Ich kann dies immer noch hören, als wenn es gestern gewesen wäre.“

Juwelier Löwenthal berichtete: „Als ich in der Nacht vom 9. November aus dem Polizeigewahrsam in mein Lokal geführt wurde, um die Bücher der jüdischen Gemeinde herauszugeben, war es schwer, bis zu meinem Kontor zu gelangen, da die Trümmer fast einen halben Meter hoch im Laden lagen.“ Wenn der Besitzer über seinem Geschäft wohnte, wurde auch die Privatwohnung nicht geschont. Bei Ludwig Kychenthal wurden Teppiche und Sofas zerschnitten, Ölgemälde mit einem abgebrochenen Stuhlbein zerstochen.

Auch die Synagoge wurde von den SA-Schlägern verwüstet und später abgerissen. Zugleich nahm die Polizei umfangreiche Verhaftungen vor, entließ aber die Frauen nach einigen Stunden. Die 16 Männer hingegen lieferte die Polizei um 17:30 Uhr im Gefängnis von Alt-Strelitz ab. Ihre Haft war von unterschiedlicher Dauer. Einige wurden bereits nach einer Woche entlassen. Die letzten kamen erst  am 25.3.1939 wieder in Freiheit.

Noch im Zuchthaus wurde Fritz Löwenthal der Kaufvertrag für sein Haus in der Schmiedestraße zur Unterschrift vorgelegt. Der Kaufpreis entsprach in keiner Weise dem Wert des Grundstücks. Darüber hinaus wurde der Juwelier verpflichtet, auf eigene Kosten die „zertrümmerten Fensterscheiben des Hauses und alle sonstigen Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland am 8., 9. und 10. November am Grundstück entstanden sind … sofort zu beseitigen“.

Nach diesen Ereignissen hielt Löwenthal nichts mehr in Schwerin. Da er für die USA kein Visum bekam, entschloss er sich zur Emigration nach Chile. Mitnehmen konnte er fast nichts. Sein Vermögen einschließlich der Erlöse aus dem Verkauf seiner drei Häuser war de facto beschlagnahmt, da er über das Sperrkonto, auf dem es sich befand, nicht verfügen konnte.
Am 23. Juni 1939 verließ Fritz Löwenthal, der einmal ein wohlhabender Mann gewesen war, Deutschland mit ein paar Koffern, seinem Ehering und 10 Reichsmark. Außer ihm und seiner Frau konnten nach dem Novemberpogrom auch noch die Familien Zoltobrodsky und Kychenthal aus Schwerin ins sichere Ausland entkommen. Der Seniorchef Louis Kychenthal blieb in Schwerin und wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er im Juni 1943 starb.

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