- Anzeige -

Bun­desin­nen­mi­nis­ter de Mai­ziè­re im In­ter­view

- Anzeige -

Berlin – Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat um Verständnis für die Ermittlungsbehörden geworben. Gerade bei Internet-Straftaten gebe es geradezu eine "Explosion von Daten", der schwer nachzukommen sei, sagte er im Interview der Woche des DLF. Bund und Länder müssten bei der Strafverfolgung effektiver zusammenarbeiten.

Herr de Maizière, haben Sie die Nachrichten noch erschüttert, dass gerade Sie besonders aufmerksam von der NSA abgehört worden sein sollen, als enger Vertrauter der Kanzlerin, sozusagen zum Ausgleich dafür, dass Angela Merkel selbst nicht mehr belauscht wird?

Ich kann die Meldung nicht bestätigen. Der Wortlaut dessen, was die Kanzlerin mir angeblich gesagt haben soll, ist ganz untypisch für die Bundeskanzlerin, auch für unsere Dialoge. Erschüttert hat es mich nicht mehr.

Sie haben – jetzt unabhängig von der persönlichen Betroffenheit – auf der Münchner Sicherheitskonferenz die wohl bisher härtesten Worte innerhalb der Bundesregierung gegenüber den USA gefunden, haben von Maßlosigkeit gesprochen und die fehlende Information beklagt. Haben Sie da inzwischen eine Reaktion drauf bekommen?

Natürlich, in München selbst, aber auch in Gesprächen mit meinem Kollegen Eric Holder, dem amerikanischen Justizminister. Der ist gemeinsam mit dem Koordinator der amerikanischen Nachrichtendienste zuständig für die Umsetzung der Rede des amerikanischen Präsidenten in Taten. Und wir sind da in einem ganz guten Gespräch. Allerdings zu große Hoffnungen auf ein anderes Verhalten der Amerikaner mache ich mir nicht. Dessen ungeachtet hat es ja vielleicht schon Wirkung, wenn einer der transatlantisch freundlichsten Politiker und Minister dieser Regierung unter Freunden ein hartes, offenes Wort sagt.

Was für Wirkungen könnte das denn haben? Was Sie direkt eingefordert haben war ja mehr Aufklärung von den USA – was könnte es sonst noch haben? Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat ja gerade in den USA die Erwartungen an ein No-Spy-Abkommen, an eine Vereinbarung, sich nicht gegenseitig auszuforschen, noch weiter heruntergeschraubt. Was erwarten Sie sonst?

So ist es. Ich möchte gerne noch mal betonen, dass wir nicht nur gute Freunde mit den Amerikanern sind und sein wollen, wir haben auch gemeinsame Interessen. Und insbesondere bei der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste sind wir auch in unserem nationalen Interesse auf engste Zusammenarbeit mit den Amerikanern angewiesen. Das wird auch so bleiben. Ich habe kritisiert, dass der außenpolitische Schaden größer ist als der sicherheitspolitische Nutzen – das muss den Amerikanern klar sein. Aber wie die Gespräche weitergehen, wird man sehen. Für mich ist noch eins wichtig, es ist sehr wichtig, dass wir im inneramerikanischen Verhältnis zu uns, uns auf das Thema NSA konzentrieren und es nicht außer Acht lassen. Für die Sicherheit des Netzes, für die Frage, ob Regierungen abgehört werden, für die Frage, ob es Wirtschaftsspionage gibt, ist die Frage der Konzentration auf die NSA geradezu falsch. Denn wir stellen uns einmal eine Sekunde vor, es gäbe keine NSA, wäre die Sicherheit des Netzes genauso bedroht und gefährdet, durch andere Staaten, durch Kriminelle, durch andere Weise. Deswegen ist das Verhältnis zu den Amerikanern das eine, der Schutz des sicheren Internets und der Schutz einer sicheren Regierungskommunikation das andere und das Wichtigere.

Darüber können wir gleich oder sollten wir gleich auch noch mal sprechen. Trotzdem noch mal zum Verhältnis zu den USA. Sie haben es selbst angesprochen, gerade Sie als Innenminister, das heißt, Ihre nachgeordneten Behörden sind besonders angewiesen auf Informationen aus den USA. Wird die Diskussion in der Hinsicht Schaden bringen?

Ich hoffe nicht.

Zum Verhältnis zu den USA und der Frage, wie es weitergeht. In einem sogenannten Cyberdialog sollen nicht nur die verantwortlichen Politiker und Dienste aus den USA und Deutschland, sondern auch zum Beispiel Wissenschaftler sich austauschen. Das ist auch ein Ergebnis jetzt der Pressekonferenz von Herrn Steinmeier in den USA. Heißt das, wir gründen einen Gesprächskreis und beerdigen die Sache?

Nein. Das Thema des sicheren Netzes geht weit über das Thema NSA hinaus. Und dazu brauchen wir in Deutschland Regelungen, wir brauchen in Europa Regelungen und wir brauchen weltweit Regelungen. Wir brauchen Sicherheit durch Recht. Wir brauchen Sicherheit durch Technik. Und wir brauchen Sicherheit durch Vorsicht der Bürger. Und im Verhältnis zu den Amerikanern brauchen wir Datenschutzabkommen – wir verhandeln darüber, auch – das heißt Safe Harbor im Fachchinesisch – dass wir Regelungen brauchen, unter welchen Bedingungen deutsche und europäische Unternehmen Daten in die USA geben können. Und darüber brauchen wir natürlich einen Dialog. Und Wissenschaftler sind deswegen wichtig, weil es nicht nur um Rechtsfragen geht, sondern auch um technische Fragen. Man kann viel rechtlich regeln in diesem Bereich, wenn es technisch nichts bewirkt, dann hat man insgesamt wenig bewirkt. Also ich begrüße diesen Dialog, aber er ist keine Ablenkung von dem Thema NSA.

Es ist ja eigentlich etwas anderes, auch Safe Harbor ist ja die Frage des Datenschutzes unter Privatfirmen im Prinzip und nicht die Frage, wie sich Staaten gegenseitig belauschen. Und da heißt es immer wieder, die Bundesregierung erwarte einen Vertrauensbeweis. Was erwarten Sie, was kann da kommen?

Ich will zunächst noch hinzufügen, dass die schöne Trennung zwischen Staat und Privat im Internet auch nicht mehr so klar erkennbar ist. Wenn wir einen Angriff auf das Netz haben, etwa auf ein Regierungsnetz – und wir haben jeden Tag hunderte und tausende dieser Angriffe -, dann können wir gar nicht ermitteln, von wem der Angriff kommt. Ehrlich gesagt ist das in dem Fall auch irrelevant, wir wollen, dass es keinen Angriff gibt. Deswegen ist die Unterscheidung zwischen Staat und Privat hier – Stichwort: Sicherheit durch Technik – nicht die entscheidende Frage. Ja, die Frage des Vertrauens ist etwas, das muss bilateral besprochen werden. Ich werde ja auch noch bis zur Sommerpause in die USA fahren. Und jetzt warten wir vor allen Dingen mal auf die Art und Weise der Umsetzung dessen, was der amerikanische Präsident, auch an Einschränkungen für die Arbeit der NSA selbst, für amerikanische und nicht-amerikanische Staatsbürger angekündigt hat. Und dort wären einschränkende Taten der beste Vertrauensbeweis.

Das ist das, was die USA tun können. Die deutsche Seite ist auch gefragt. Sie haben kürzlich gesagt, die Spionageabwehr dürfe nicht unterschätzt werden und dabei sei für Sie nachrangig, wer spioniere. Das heißt, erst mal schaut die Bundesregierung auch genauer hin, was die britische und was die US-Botschaft treibt, richtig?

Kein Kommentar. Ist das auch eine Antwort?

Warum nicht?

Nein, Dienste arbeiten ja dann gut, wenn sie parlamentarisch kontrolliert werden, aber vertraulich arbeiten. Und das, was Dienste tun, was sie können und was sie nicht können, ist kein Gesprächsgegenstand eines Interviews – und wenn es noch so schön ist, wie an diesem Sonntagmorgen.

Sie haben angesprochen, dass die Frage der Kommunikationssicherheit insgesamt eine ist, die über das Belauschen durch fremde Staaten hinausgeht. Und gerade deshalb auch die Frage – Sie sind ja auch zuständig dafür, dass die Sicherheitsbehörden vernünftig arbeiten können -, je sicherer die Kommunikation, desto sicherer ist sie auch vor Abhörmaßnahmen der Polizei?

Ja. Andererseits haben wir ja Regelungen, die wir auch im analogen Bereich kennen, dass unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen auch Grundrechte der Bürger eingeschränkt werden dürfen. Nehmen wir mal den Schutz der Wohnung. Man kann seine Wohnung verschließen, man kann sichere Schlösser kaufen – und das sollte man auch tun -, man kann eine Alarmanlage einbauen und trotzdem ist es dann, wenn es rechtlich geboten ist, nach richterlicher Anordnung auch möglich, eine solche Wohnung zu durchsuchen. Und das ist dann auch technisch möglich und muss technisch möglich sein. Also die Vorstellung, dass wir deswegen weniger Schutz im Internet bauen oder haben wollten, damit die Sicherheitsbehörden auch noch zugreifen können, das wird ja manchmal vom Chaos Computer Club und anderen vorgetragen. Ich verstehe diese Sorge intellektuell, aber die ist unbegründet, weil alles was wir tun, was diesen schweren Grundrechtseingriff angeht, immer auf strenger rechtlicher Basis und mit richterlichen Vorbehalten erfolgt.

In der Frage, dass sich jeder im Netz tunlichst auch selber schützen sollte, sind Sie einig mit ihrem Vorgänger, Hans-Peter Friedrich. Der Zungenschlag gegenüber den USA ist ein ganz anderer. Ihm wurde teilweise eine äußerst unkritische Partnerschaft zu den USA vorgeworfen von Kritikern. Wollen Sie sich davon bewusst absetzen?

Nein, ich halte das auch für ungerecht, diesen Vorwurf gegenüber meinem Vorgänger. Jeder hat seinen Stil – ich habe meinen. Und es ist auch, finde ich, nicht angemessen, uns in dieser Weise miteinander zu vergleichen.

Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Wir haben Ihren Vorgänger, Herrn Friedrich, eben angesprochen. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin wegen möglicher Verletzung des Dienstgeheimnisses. Werden Sie die dafür nötige Ermächtigung unterschreiben?

Mir liegt kein Antrag der Staatsanwaltschaft vor. Wann dieser Antrag kommt, wird man sehen, und dann wird das rechtlich zu prüfen sein. Und gerade weil ich diese Entscheidung dann treffen muss, wenn die Staatsanwaltschaft den Antrag stellt, bin ich gehalten, schon auch um jeden Vorwurf der Befangenheit auszuschließen, im Vorhinein dazu nicht Stellung zu nehmen. Ich kann deswegen auch nicht, obwohl es mich natürlich reizen würde und obwohl ich viel danach gefragt werde, ich kann jetzt meine Meinung zu der rechtlichen oder politischen Bewertung dessen, was Herr Friedrich gemacht, aus genau diesem Grunde nicht abgeben. Ich muss vollständig unbefangen und nüchtern und kühl und ohne Sympathie diese Entscheidung treffen.

Es geht darum, dass Herr Friedrich – auch nach eigenen Worten – dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel weitergesagt hat, was er über seinen Staatssekretär Fritsche vom Bundeskriminalamt erfahren hatte über einen möglichen Verdacht gegen den damaligen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy. Was Sie vielleicht schon sagen können ist, hätten Sie sich als Innenminister während laufender Koalitionsverhandlungen zumindest auch in einer Zwangslage gefühlt?

Sicher hätte ich mich in einer unangenehmen Lage in soweit gefühlt, dass Wissen, was ich gehabt hätte, andere interessiert. Das ist allerdings bei jedem Geheimnisträger so. Und es ist ja nicht das erste Ressort, was ich bekleide, und ich habe oft mit Wissen umgehen müssen, was andere interessiert hätte. Und das muss man dann gegebenenfalls für sich behalten. In diesem Zusammenhang allerdings ist es die Frage, ob nicht Schaden von der Koalition und Schaden aber auch vom Deutschen Bundestag und dem öffentlichen Ansehen insgesamt abgewendet werden sollte. Nun, das ist eine Frage, die muss rechtlich bewertet werden. Ich will das nicht im Einzelnen tun, aber das war schon eine verdammt schwierige Lage, in der sich mein Vorgänger befunden hat.

Und es ist auch die Frage, wer das alles in dem Moment zu bewerten hatte. Wir hatten es schon angesprochen, Herr de Maizière, Sie sind eng vertraut mit Angela Merkel. Ab welcher Tragweite erzählen Sie Dinge, die Sie dienstlich erfahren, der Kanzlerin und ab welcher Tragweite sollte das ein Minister tun?

Gerade, weil wir ein gutes Vertrauensverhältnis haben, bin ich bei Auskünften über das, was im Binnenverhältnis zwischen der Bundeskanzlerin und mir passiert, sehr spröde und zurückhaltend, und das gilt leider auch für die Beantwortung Ihrer Frage. Aber ich will gerne hinzufügen, man kann nicht abstrakt Kriterien aufstellen, wann ein Mitarbeiter seiner Chefin etwas erzählt oder nicht. Das geht gar nicht. Aber auch aus ganz generellen Erwägungen nehme ich zu dem Verhältnis und dem Dialog der Bundeskanzlerin zu mir nicht öffentlich Stellung.

Der ganze Fall berührt Sie ja in mehrfacher Hinsicht. Sie sind oberster Dienstherr des Bundeskriminalamts, dessen Chef, Jörg Ziercke, hat der heutige SPD-Fraktionsvorsitzende, Thomas Oppermann, in Sachen Edathy angerufen. In dem Gespräch will er sich – "er" heißt, Herr Ziercke – nicht geäußert haben. Ist die Sache damit für Sie vom Tisch?

Der Anruf wäre am besten unterblieben.

Und die Frage, wie das Gespräch abgelaufen ist, wird Sie das näher interessieren?

Ich war ja nicht dabei. Und darüber ist ja viel geredet worden. Die beiden Beteiligten haben dazu etwas gesagt. Ich habe vor allen Dingen keinen Grund, an der Aussage von Herrn Ziercke zu zweifeln.

In der Kritik steht das Bundeskriminalamt ja auch, weil zwischen der ersten Information durch die kanadischen Behörden über deutsche Kunden des aufgeflogenen Unternehmens und konkreten Schritten Monate lagen, in einzelnen Fällen zwei Jahre. BKA-Chef Ziercke rechtfertigt das damit, dass erst ein anderes Großverfahren abzuarbeiten war, mit der Zahl der Mitarbeiter und mit dem Satz: "Gegen die Massen, die aus dem Internet auf uns zukommen, ist man letztlich machtlos". Also die Frage an den Innenminister, ist das eine Kapitulation?

Nein, das ist keine Kapitulation. Das wirft aber eine grundsätzliche Fragestellung auf für die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, die nicht nur zu tun hat mit Kinderpornografie, sondern allen anderen Formen – Aufruf zum Bomben bauen, Verabredung für terroristische Anschläge, Wirtschaftskriminalität, alles, was im Internet stattfindet. Da ist eine solche Explosion von Daten entstanden, denen kann nicht so ohne Weiteres und nur nach und nach die Polizeistruktur nachkommen. Sie müssen sich auch mal vorstellen, da geht es auch um hohe technische Kenntnisse. Es gibt nicht viele in Deutschland, die einen zertrümmerten Computer wieder so rekonstruieren können, dass man sogar gelöschte Daten wieder herstellen kann. Das ist oft ein Engpass für Strafverfahren. Ich will gerne auch einmal ein Wort zu den Polizistinnen und Polizisten sagen, die diese Arbeit machen müssen. Unsere Hörer müssen sich einmal vorstellen, dass ein Teil dieser Polizisten tagelang, stundenlang sich diese widerwärtigen Bilder angucken muss und dass das auch an physische Grenzen stößt, dass man da auch eine Rotation herbeiführen muss, dass das andere Polizisten machen müssen, weil es unzumutbar ist für Einzelne. Das gehört auch zum vollen Bild der Ermittlungsarbeit hinzu. Insgesamt müssen wir in Bund und Ländern – und ich will das auch mit den Ländern besprechen -, glaube ich, arbeitsteiliger und effektiver arbeiten in der Verfolgung von Straftaten, die im Internet und durch das Internet geschehen.

Wie weit ist das in Arbeit?

Das ist eine große Zukunftsaufgabe. Ich will nur um Verständnis werben, dass nicht sozusagen die Polizei über diese Explosion von Datenmengen innerhalb von ein, zwei Jahren hinterher kommt.

Wie weit ist das in Arbeit? Ihre frühere Kabinettskollegin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sagt, da müsse man eben die Strukturen ändern oder eben auch mehr Leute einstellen. Wie weit ist das tatsächlich derzeit im Geschäft?

Ja, das ist leicht gesagt und schwer getan. Alle – die Wirtschaft, der Öffentliche Dienst, die Sicherheitsbehörden, wir alle – suchen die gleichen Internetfachleute. Das ist ein begrenzter Markt. Das ist gar nicht so sehr ein Stellenproblem als ein Qualitätsproblem. Und wir arbeiten daran, wir müssen daran arbeiten, aber – noch mal -, es geht nicht über Nacht.

Und all diese Vorgänge berühren Sie noch in einer anderen Hinsicht, nämlich schlicht als Kabinettsmitglied und Teil der Koalition. Spätestens mit dem Rücktritt Hans-Peter Friedrichs als Landwirtschaftsminister hat die Sache für Verstimmung gesorgt, mit Unmutsbekundungen aus der Union, vor allem derCSU, gegen die SPD, obwohl es ja die Kanzlerin war, die Friedrich nicht gestützt hatte. War da einfach noch Ärger aus den Koalitionsverhandlungen übrig, hatte sich da was aufgestaut?

Nein, das glaube ich nicht. Ich will auch noch mal sagen, ich meine, Union und SPD sind ja nicht per se natürliche Bündnispartner. Wir haben ja jahrelang gegeneinander gearbeitet als Regierung und Opposition – das ist in einer Demokratie auch so üblich. Und eine große Koalition ist nur eine Ausnahme in einer Demokratie. Dass man da erst mühsam sich zusammenraufen muss ist verständlich. Früher hatte man 100 Tage Schonfrist – dieses Interview ist noch in der 100-Tage-Zeit. Jetzt muss man eine 100-Tage-Bilanz vorlegen – das ist ja eigentlich absurd. Und deswegen, Meseberg war sehr gut, die Klausur, die wir dort hatten. Wir brauchen ein bisschen, glaube ich, Geduld, auch durch die Öffentlichkeit, wie wir uns zusammentun. Eine solche Entwicklung der letzten Tage hat auch einen Vorteil. Man lernt in solchen schwierigen Situationen, miteinander umzugehen, man weiß, auf wen man sich verlassen hat, nicht alles findet öffentlich statt. Mein Grundzutrauen gegenüber den entscheidenden Akteuren in der großen Koalition, auch auf sozialdemokratischer Seite, ist jedenfalls nicht gestört.

Man konnte hier ja fast den gegenteiligen Eindruck haben, nicht, dass man sich erst zusammenraufen muss, sondern dass es fast etwas wie eine Anfangseuphorie gab, die jetzt dahin ist?

Na ja, diese Pendelausschläge sind immer ein Problem. Wenn die große Koalition sich gut versteht, dann heißt es: Die Mehrheit ist erdrückend, es gäbe eine Arroganz der Macht und die Argumente der Opposition würden nicht gehört und so weiter. Gibt es Debatten in der großen Koalition, dann heißt es: Was ist das für eine Regierung, die verträgt sich ja gar nicht. Mit diesen beiden Vorwürfen werden wir wohl leben müssen. Parteien brauchen natürlich auch ein Profil und das Profil muss auch in einer großen Koalition deutlich werden können. Nicht jeder Streit legt die Axt an die Wurzel einer großen Koalition. Auch diese Streitkultur, die dann aber doch zu Ergebnissen führen muss, müssen wir erst miteinander lernen. Aber dass einfach mal wir uns geärgert haben und die SPD wohl auch ernsthaft bedauert hat, dass wir hier den Kollegen Friedrich verloren haben, das ist einfach auch menschlich mal, glaube ich, ein verständlicher Vorgang.

Bei der Frage des Profils und der Streitkultur sind wir gleich beim nächsten Thema, der doppelten Staatsbürgerschaft. SPD-geführte Länder wollen sie allen ermöglichen, die in Deutschland geboren sind, nicht nur denjenigen, die hier aufgewachsen sind. Muss die SPD ihren Widerstand gegen Ihre Vorschläge, gegen Ihre vorgelegten Vorschläge schon aufgeben, weil von derSPD Zugeständnisse gefordert werden im Nachgang zur Affäre Edathy?

Zunächst finde ich das Erstaunen der SPD-Führung über das Vorgehen dieser zum Teil jaSPD-geführten Länder richtig. Denn auch die Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben den Koalitionsvertrag mit verhandelt und ihm zugestimmt. Und dort ist nicht die vollständige Aufhebung der Optionspflicht verabredet, sondern für die Fälle, wo jemand in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Und ich bin für jeden Vorschlag offen, der das Kriterium "wann ist jemand in Deutschland aufgewachsen" so umschreibt, dass wir möglichst wenig Bürokratie haben – ich meine, dazu einen klugen Vorschlag gemacht zu haben. Aber einfach zu sagen: Jetzt muss das Kriterium "und aufgewachsen" wieder weg, weil es uns nicht gefällt, das ist nicht Gegenstand des Koalitionsvertrages. Das weiß die SPD-Führung und deswegen geben sie uns noch ein bisschen Zeit, einen vernünftigen Kompromiss zu machen. Ich bin da ganz zuversichtlich.

Geuther: Es klingt auch bei Ihrem Kabinettskollegen, Bundesjustizminister Heiko Maas so, als gäbe es gerade in diesem Punkt "bürokratiefreundlicher, weniger Bürokratie" noch erheblichen Diskussionsbedarf. Ich habe den Eindruck, es geht weniger um den Schulabschluss als um die Frage, bis zum 23. Geburtstag müsste jemand mindestens zwölf Jahre in Deutschland gelebt haben, vier davon zwischen dem zehnten und dem 16. Lebensjahr. Das ist sehr strikt. Das ist sehr eng.

De Maizière: Zunächst will ich gerne dazu beitragen, dass ein Missverständnis gar nicht erst entsteht oder ausgeräumt wird. Es geht nicht um Schulabschluss und Aufenthalt in Deutschland, sondern oder. Und wir erfassen 90 Prozent der Fälle mit einem Schulabgangszeugnis in einer deutschen Schule. Denn wenn man hier aufgewachsen ist – wir haben Schulpflicht -, geht man ja wohl in die Schule. Deswegen streiten wir uns zu sehr um die letzten zehn Prozent. Das ist der türkische Ingenieur, der etliche Jahre vielleicht in Südamerika für Siemens einen Staudamm gebaut hat und dort die Kinder in Peru in der Schule hatte – was ist mit dem? So, dafür werden wir wohl auch eine Lösung finden, und wir haben jetzt verabredet – ich habe einen Vorschlag gemacht. Der Vorschlag ist aus meiner Sicht so, dass er einfach ist, jeder hebt sein Schulzeugnis auf, die Geburtsurkunde sowieso, mehr braucht man in aller Regel nicht. Der Vorschlag entspricht der Koalitionsvereinbarung. Aber ich bin kompromissbereit und wir haben vereinbart, dass die SPD-Seite – damit meine ich jetzt aber die Führung der SPD – im Rahmen der Ressort-Abstimmung jetzt einen Vorschlag macht, und mein Rat ist auch, dass der Vorschlag erst mal nicht öffentlich erfolgt und dass wir das ganze Getümmel am Rande mal einen Moment einfach beiseite liegen lassen.

Dann werden wir danach darauf zurückkommen. Zuerst noch zu einem anderen aktuellen Thema Herr de Maizière. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Woche die Drei-Prozent-Klausel für die Wahl zum Europäischen Parlament gekippt. Sie haben gesagt, Sie nehmen das Urteil zur Kenntnis – mehr Distanz kann ein Innenminister nicht zeigen. Lässt das Bundesverfassungsgericht in Wahlrechtsfragen dem Gesetzgeber zu wenig Spielraum?

Wenn ich gesagt habe "ich nehme das Urteil zur Kenntnis", dann heißt das, es wird selbstverständlich beachtet. Meine private verfassungsrechtliche Meinung spielt dabei keine Rolle und es ist nicht gut, wenn Verfassungsorgane öffentlich sich Belehrung erteilen. Das gilt für beide Seiten.

Dann kommen wir zu dem Ressortwechsel, Herr de Maizière. Die Regierung arbeitet seit gut zwei Monaten, Sie waren davor Verteidigungsminister. Ihre Nachfolgerin und Parteifreundin Ursula von der Leyen hat vor wenigen Tagen die Informationen aus dem Haus zu allen 15 Rüstungsgroßprojekten zurückgewiesen und sie hat das Haus personell umgekrempelt. Ist das nicht indirekt eine herbe Kritik an der Amtsführung des Verteidigungsministers de Maizière?

Es gibt die gute Tradition, dass man sich zu der Amtsführung seines Nachfolgers oder Nachfolgerin nicht äußert. Das will ich hier auch so halten. Und das ist, glaube ich, für alle Seiten besser so.

Es betrifft ja nicht nur die Amtsführung Ihrer Nachfolgerin, sondern es betrifft ja die Bewertung Ihrer Amtsführung – zu der könnten Sie sich doch äußern?

Könnte ich, will ich aber nicht!

Gut. Dann lasse ich auch Nachfragen zu Staatssekretär Beemelmans. Vor dieser, Ihrer zweiten Amtszeit als Bundesinnenminister sagten Sie: "Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen", also Sie können nicht da weiter machen, wo Sie knapp drei Jahre vorher aufgehört haben. Sie haben sich vorgenommen, erst mal viel zuzuhören. Sind Sie jetzt wieder angekommen?

Ja. Ich bedanke mich auch und freue mich über die große Zustimmung, die ich gefunden habe mit meiner Rückkehr. Die Auftaktgespräche, die ich zu den verschiedenen Bereichen hatte, waren für mich sehr lehrreich. Ich war sehr viel unterwegs in den letzten Wochen und Monaten, habe schon etliche Behörden besucht. Und dabei in der Tat vieles Alte und viele alte Bekannte wiedergetroffen, aber auch vieles Neue. Wir haben schon über NSA diskutiert, auch die Mordserie der NSU war bei meinem ersten Turn, bei meiner ersten Periode als Innenminister noch nicht bekannt. Die politische Konstellation ist eine andere, jetzt sind wir in einer großen Koalition. Das war eine Koalition mit der FDP – das ist naturgemäß in manchen Dingen dieses Geschäftsbereichs schwieriger mit der FDP, wie alle wissen. Ich bin voll angekommen und habe viele Pläne und freue mich, dass ich Innenminister bin.

Herr de Maizière, vielen Dank für das Gespräch.

- Anzeige -
- Advertisement -
Die mobile Version verlassen