Berlin (ots) – Notruf per Pflaster: Ein neues System, das bei einem Sturz umgehend den Notarzt verständigt, ist ab Ende 2013 für jedermann erhältlich. Das Erkennungssystem "Vigi’Fall" gewährleistet dank eines kleinen dreieckigen Pflasters auf der Haut, dass jeder ernsthafte Sturz erkannt und ein Notfalldienst benachrichtigt wird. Rund drei Millionen Senioren in ganz Europa könnten davon profitieren. Allein in Deutschland starben 2011 fast zehntausend Menschen an den Folgen eines Sturzes, die meisten von ihnen Senioren. Entwickelt wurde das System vom FallWatch-Konsortium, an dem Forscher aus ganz Europa mitarbeiten. Federführend im Konsortium ist das französische Start-up Vigilio S.A. Mit der AEMtec GmbH aus Berlin ist auch ein deutsches Technologieunternehmen an Vigi’Fall beteiligt. Das gesamte Projekt wurde von der Europäischen Kommission mit rund zwei Millionen Euro gefördert.
"Man schätzt, dass in Europa jährlich über 20 Millionen Menschen der Altersgruppe 65+ einen Sturz erleiden", erklärt Jean-Eric Lundy, Gründer von Vigilio S.A. und Arzt in der Notfallaufnahme des Hôpital Cochin, Paris. "Damit ist ein Sturz die Hauptursache für traumatisch bedingte Todesfälle in diesem Alter. Sofortige medizinische Hilfe ist hier ausschlaggebend, da sie über Leben und Tod entscheiden kann. Viel zu oft machen wir die Erfahrung, dass ältere Patienten vor der Einlieferung ins Krankenhaus stundenlang hilflos zu Hause gelegen haben, weil sie nicht um Hilfe rufen konnten. Dabei entstehen oft irreversible physische und psychische Schäden."
So funktioniert Vigi’Fall
Vigi’Fall basiert auf einem Sensorensystem: einem Biosensor, der vom Anwender selbst getragen wird, sowie Wandsensoren in den Wohnräumen. Damit ist er in etwa vergleichbar mit einer Alarmanlage. Im Falle eines Sturzes sendet der Biosensor am Körper ein Signal aus; darüber hinaus registrieren die Wandsensoren, dass keine Bewegungen mehr stattfinden. Sie teilen diese Information der zentralen Kontrollbox im Wohnbereich mit. Diese benachrichtigt per Telefon das Pflegepersonal oder – falls sich der Sturz in einer Privatwohnung ereignet – ein Callcenter.
Um zwischen tatsächlichen Stürzen und einem Fehlalarm unterscheiden zu können, verfügt Vigi’Fall über eine spezielle Software, die den Sturz (mit oder ohne Aufprall) und die anschließende Lage des Patienten analysiert. In einer Pflegeeinrichtung kann das Personal im Ernstfall sofort reagieren. Menschen, die allein leben, werden zur zusätzlichen Sicherstellung von einem Callcenter-Mitarbeiter angerufen. Bleibt der Anruf unbeantwortet, wird umgehend die Familie oder ein Notfalldienst benachrichtigt.
Das Vigi’Fall-Konsortium mit deutscher Beteiligung
Die größte Herausforderung bei der Entwicklung von Vigi’Fall bestand darin, dass Pflaster möglichst klein zu halten, damit es problemlos und bequem getragen werden kann. Dazu holte das FallWatch-Konsortium europäische Partner mit unterschiedlichen Spezialisierungen ins Boot.
Neben Unternehmen aus Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien wurde ein deutsches Unternehmen zur Mitarbeit im Konsortium ausgewählt: Die AEMtec GmbH in Berlin ist bei dem FallWatch-Projekt Single-Source-Prozessentwicklungspartner für AVT (Aufbau- und Verbindungstechnologie) sowie für die Serienfertigung verantwortlich. Neben dem Zusammenbau schließt dies auch die Endmontage und den Test ein.
Das Resultat der Zusammenarbeit des Konsortiums: Der Sensor funktioniert selbst unter der Dusche – und braucht dank der langlebigen Stromversorgung nicht weiter beachtet zu werden, sobald er einmal auf der Haut platziert ist. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass bei einem Sturz sofort Hilfe unterwegs ist.
Erfolgreiche klinische Tests und Vermarktung
Das Vigi’Fall-Pflaster wurde unter Laborbedingungen und in den Bereichen Krankenhaus, Pflegeeinrichtung und Privathaushalt erfolgreich geprüft. Seit November 2012 ist Vigi’Fall am Markt erhältlich. Die Home-Version von Vigi’Fall wird ab dem dritten Quartal 2013 erhältlich sein. Ab September 2013 beginnen in den USA und Europa zudem die klinischen Tests der zweiten Systemgeneration, die auch dem amerikanischen RFID-Standard entsprechen wird. Diese marktreife Version, die für Ende 2014 erwartet wird, eröffnet erhebliche Geschäftschancen: Neben Europa und den USA haben mehrere asiatische Länder Interesse an der einzigartigen Technologie bekundet. In den EU-Ländern, die an den FallWatch-Projekten beteiligt sind, werden dadurch in den kommenden drei Jahren schätzungsweise 100 qualifizierte Arbeitsplätze entstehen.
"Das FallWatch-Projekt zeigt, welche Fortschritte in der medizinischen Versorgung möglich sind, wenn die Besten der europäischen Wirtschaft zusammenarbeiten", kommentiert Michael Jennings, Sprecher der Europäischen Kommission für die Bereiche Forschung, Wissenschaft und Innovation. "Diese Innovation bringt den Menschen einen spürbaren Nutzen und ist gleichzeitig gut für die europäische Wettbewerbsfähigkeit, die von der Kommission im Rahmen des EU-Forschungs- und Innovationsprogramms ‚Horizon 2020‘ kontinuierlich gefördert wird."